Als ich 2006 in einen Angelverein eintrat, wollte ich nie Müll, außer meinen eigenen, wegräumen und gab lieber der Jugendarbeit meine Aufmerksamkeit. Heute, 15 Jahre später, sehe ich die Sache mit anderen Augen. Corona ist allgegenwärtig und auch ich habe keinen Bock, mich damit zu infizieren. Aber ich habe auch keinen Bock, zu Hause rumzusitzen und Däumchen zu drehen. So begann ich im März dieses Jahres damit, einfach loszugehen und alles, was nicht in die Natur gehört, in einen Müllbeutel zu stopfen. Schon beim ersten „Einsatz“ merkte ich jedoch, dass es Hilfe von vielen fleißigen Menschen braucht. Ich schrieb Texte und verbreitete diese hier und bei Instagram, schrieb die OTZ an und klingelte beim Offenen Kanal Jena. Plötzlich war mediales Interesse geweckt und ich kam mir ganz schrecklich klein vor: “Werden zumindest ein paar Leute kommen und mit anpacken?”
Samstag, 24.04.2021: 9:50 Uhr komme ich in Göschwitz an und parke am Kindergarten „Saaleknirpse“. Als erstes schaue ich nur mal so hinter die Rabatte unter die Rohrleitung, drehe mich um, gehe zum Auto, nehme Handschuhe und Müllbeutel. Bevor ich starten kann, kommt Susi vom HBV90 mit ihren Kindern und wir machen uns erstmal persönlich bekannt. Dann ein weiteres Fahrzeug mit einer Handballfamilie und dann noch eins. Das sind mir zu viele Menschen und so beginne ich, den ersten Müll in den Beutel zu stopfen. Wieder am Auto, sehe ich, dass Frau Schimmel von der Zeitung schon ihrer Arbeit nachgeht und die Anwesenden mit Fragen zum Saaleputz und der allgemeinen Müllproblematik bombardiert. Ich stelle mich also kurz vor und freue mich, dass die Frauen vom HBV90 Rede und Antwort stehen, schließlich müsste Roland ja gleich da sein, um diesen Part für den Saaletreff zu übernehmen.
Ein junger Mann schaut sich suchend um. Er hat gestern mit jemandem geschrieben und von diesem Treffpunkt erfahren. Er ist nicht aus Jena. Trotzdem findet er die Aktion gut und will helfen. Wie sich herausstellt, hat er mit Benjamin geschrieben. Er bekommt Handschuhe, Müllbeutel und einen Greifer. „Wie lange geht die Aktion heute und wo kommt der Müll dann hin?“ So lange er mag und den Müll soll er ruhig an mein Auto stellen. Da kommt noch Franz mit Tochter extra aus Orlamünde. Auch er bekommt ein Starterkit. Dann ziehen wir los und ich genau in die Arme von Frau Schimmel. Mist, wo bleibt Roland? Ich schaue auf mein Handy und sehe, dass sie noch ziemlich weit entfernt sind. Also stelle ich mich den Fragen. Das Ergebnis kann kurze Zeit später online gelesen werden.
Und Roland? Wie erging es der Saaletreff-Flotte?
Mit leichter Verzögerung startete für uns die Saalesäuberungsaktion, zu der wir mit dem Fahrrad anreisten, am Samstagmorgen bei frischen 3 °C unterhalb der Rabenschüssel in Maua gegen 8 Uhr. Überraschenderweise waren zu früher Stunde nicht nur die jeweils zwei Personen, die mit Kanu und Kajak die beiden Flussufer nach Plastik und sonstigem Zivilisationshinterlassenschaften absuchten, anwesend. Am Treffpunkt hatten sich ca. 10 Personen eingefunden, die meisten davon waren in Folge zu Fuß unterwegs. Einen für 10 Uhr angesetzten Pressetermin mussten wir an Schachti weiterdelegieren, da kaum ein Baum, kaum eine Außenkurve oder aufgestautes Treibholz ohne Kunststoffetiketten vorzufinden war. Unter diesen Umständen war es durchaus bemerkenswert, dass wir die ca. 5 km lange Sammelstrecke mit ca. 1,5 km/h Geschwindigkeit absuchten. Während wir anfangs noch penibel jeden Fitzel aus den Laubfahnen der Bäume fischten, konzentrierten wir uns später zunehmend auf die größeren Hinterlassenschaften. Die Aktion war eine wirklich dreckige Angelegenheit. Bei jeden Stopp unter überhängenden Bäumen rieselte uns der Schmodder, welcher sich beim letzten Hochwasser in den Bäumen verfing, in die Haare und ins Boot. Nach vier Stunden harter Arbeit waren wir geschafft, teils deprimiert über das Ausmaß der Verschmutzung und doch auch stolz auf das Geleistete. Wir hatten die Saale und ihre Ufer von einigen Zentnern Müll befreit und waren auch glücklich über die besonderen Naturerlebnisse während der Bootsfahrt: Wir konnten einen Biber beobachten, der sich am gegenüberliegenden Ufer entspannt das Fell putzte, einen Eisvogel in seinem Revier erleben und einen Graureiher auf Beutezug. Für uns steht fest: Solange der Mensch sein Konsum- und Umgangsverhalten mit der Natur nicht ändert, bedarf es regelmäßiger Einsätze, damit unsere Saale nicht im Müll erstickt.
Nach dem Interview gehen wir stromaufwärts und stellen erstaunt fest, dass hier schon jemand oberflächlich aktiv gewesen ist. Also kriechen wir vorsichtig in die Büsche und finden dort noch reichlich Abfall. An der Brücke zwischen Göschwitz und Lobeda machen wir kurz eine Kaffeepause. Danach ziehen wir weiter und sind vielleicht 150 Meter weit gekommen, da tauchen die Boote auf. Nach kurzer Lagebesprechung beschließen wir, noch bis zur Eisenbahnbrücke weiterzumachen und dann umzukehren. Gesagt, getan. Am Ausgangspunkt angekommen, erschlägt es mich fast. Es frustriert mich, dass man immer wieder losziehen kann und nie mit leeren Händen zurückkehrt.
Nachdem die Boote wieder zu Sea-Sports gebracht waren, zogen alle ihrer Wege. Ich hatte noch Zeit und fuhr zu meinen beiden Töchtern, die gerade am Sportforum den kleinen Graben hinter der Straßenbahn reinigten. Auch da wurde mir gesagt, dass vor ein paar Tagen dort noch jede Menge rumgelegen hat. Also zog ich mit meinem Beutel nochmal an die Saale hinterm Sportforum. Nochmal eine gute Stunde gebückt laufend und, am Schleichersee angekommen, wieder den Sack vollgestopft, als wäre ich der Weihnachtsmann.
Resümee: Das positive Feedback, welches ich von verschiedenen, zumeist weiblichen Mitmenschen bekam, lässt hoffen, dass wir im Spätherbst oder nächstes Jahr noch mehr Menschen motivieren können, mit anzupacken. Es wurden von uns zusammengerechnet über 100 Stunden Freizeit gegeben. Ich danke ganz persönlich allen, die mitgemacht haben und trinke ein Sterni auf und vielleicht ja bald mit euch.
Bleibt gesund und euch treu!
Bis demnächst auf diesem Kanal
Schachti, Roland und Hannes
Ein Gedanke zu „Saaleputz, ein Rückblick aus zwei Perspektiven“