Pose, Nachtigall und Karpfen

Wo ich denn immer sitzen würde, wenn ich an der Saale angeln bin, werde ich oft von Nichtanglern gefragt. Es folgt stets der Versuch, zu erklären, dass ich in der Regel nicht sitze, sondern mich am und im Wasser bewege, um die Fische aktiv zu suchen. Das Bild von dem im Campingstuhl eingesunkenen Angler, der gelangweilt die Pose vor seinen Gummistiefeln anstarrt, beherrscht offenbar immer noch die allgemeine Vorstellung von der Hobbyfischerei. Zugegeben, auch meine erste kindheitliche Berührung mit dem Angeln hat im Sitzen stattgefunden. Ich erinnere mich noch genau an die großen Plötzen und wie gut sie, auf dem Holzkohlegrill zubereitet, geschmeckt haben. Sicher waren das jene Momente, als das Angelvirus vor über zwanzig Jahren erfolgreich auf mich übertragen wurde. Heute bin ich vor allem mit der Fliegen- und Spinnrute unterwegs, aber der klassische Reiz des Angelns mit der Pose hat mich nie losgelassen. Ich glaube, es gibt keine andere Angelart, bei der Spannung und Entspannung so nah beieinander liegen. Doch egal, welche Form der Angelei, eines ist mir immer wichtig: Ich mag es nicht, viel Gedöns herumzuschleppen. Es kommt nur mit zum Ansitz, was in einem Gang vom Fahrzeug ans Wasser befördert werden kann. Keeping it simple! Und zweitens: Auch beim Ansitzen will ich so schonend wie möglich angeln. Das betrifft nicht nur den Verzicht auf Widerhaken, sondern auch die Köderwahl. Am liebsten ist es mir dabei, ohne Anfüttern auszukommen.

Scheibengrube 1997

Nach unserem FLOW-Gewässermonitoring an der Leutra war es wieder einmal höchste Zeit: Das innere Angelmonster hatte viele schöne Dinge gesehen und verlangte danach, endlich auf seine Kosten zu kommen. Die Beine waren jedoch müde von der kurzweiligen, aber anstrengenden Forschungsarbeit. Der perfekte Anlass also, es ruhig angehen zu lassen. Ausflugsziel war ein kleiner Parkteich, der dieses Jahr bereits einige aufregende Momente ermöglicht hatte. Die Köderwahl beruhte dabei auf einer einfachen Überlegung: Was passiert, wenn Menschen und Enten zusammentreffen? Richtig, obwohl längst bekannt ist, dass man es tunlichst bleiben lassen sollte, werden die Wasservögel mit Brot gefüttert. Was liegt also näher, dem Schuppenwild ebenjenes bestens vertraute Gebäck vor die Nase zu halten? Alte Brotreste oder das vom Frühstück übrig gebliebene Brötchen sind nicht nur ohne Mehrkosten und ressourcensparend, sie sind bei solchen Bedingungen auch äußerst fängig. Dieses Mal wollten wir dennoch etwas Neues probieren, etwas, das ein wenig besser am Haken hält: Selbst hergestellter Teig aus profanen Küchenzutaten, in herzhafter und süßer Geschmacksrichtung. Ob das wohl genauso knallen würde? Es knallte! Gleich beim ersten Wurf. Ein besseres Kompliment an die Küche seitens des Fisches gibt es nicht. Auch zwei schöne, kleine Schleien konnten an diesem Abend dem Menü nicht widerstehen. Eine Große war unser Wunschfisch und die Hoffnung geweckt!

Bald begann es, dunkel zu werden, denn den ersten Wurf hatten wir zu einer Uhrzeit gemacht, zu der wir sonst einpacken. Mit dem schwindenden Licht war es an der Zeit, die Köder im Erdgeschoss anzubieten. Den Laufposenstopper stellten wir so ein, dass Haken und Bissanzeiger-Blei auf Grund lagen. Außerdem war die Stunde der Knicklichtpose gekommen. Glücklicherweise hatte mir Ben am Morgen einige Leuchtstäbchen zum FLOW-Termin mitgebracht, denn als Ansitz-Wiedereinsteiger bin ich noch nicht an allen Ecken optimal ausgestattet. Während das Tageslicht weiter schwand, scheuchten sich die Enten gegenseitig über den Teich und veranstalteten einen Heidenlärm. Dazu allgegenwärtig war das Flattern kleiner, ledriger Flügel. Fledermäuse machten Jagd auf Insekten und kamen bis auf wenige Zentimeter an uns heran. Da hielten wir die Münder lieber geschlossen. Nicht, dass die nächste Pandemie in Thüringen ihren Ursprung haben würde.

Während über der Wasseroberfläche viel los war, nahm die Frequenz von Geschehnissen unter Wasser mit Einbruch der Dunkelheit stark ab. Nicht nur die Tageszeit, auch der Umstand, dass die Köder jetzt auf Grund lagen, selektierte die potenziellen Abnehmer unseres Teigs. Jetzt ging es darum, die nachtaktiven Esser bei der Nahrungssuche im Schlamm zu erwischen. Es dauerte, bis sich wieder etwas tat. Dann kam plötzlich Bewegung in die Pose schräg links von mir. Kurz warten, dann der Anhieb – und er saß! Zunächst war kaum Gegenwehr zu spüren, aber vorm Ufer kam Leben in die Sache. Das musste wohl ein kleiner Karpfen sein. Im Kegel der Kopfleuchten bestätigte sich der Verdacht. Wahnsinn, selbst bei dieser geringen Größe machen die Rüssler einen Betrieb! Unmittelbar vor uns die nächste Flucht. Und noch eine. Schließlich wurde am anderen Ende der Schnur kapituliert und ein hübscher Spiegler von etwa 35 cm konnte im Kescher bewundert werden. Ohne Widerhaken ist das Abhaken selbst beim ledrigen Karpfenmaul eine Sache von wenigen Sekunden – einhändig und ohne Zange. Schnell ging es zurück in die gute, nasse Stube!

Der Ehrgeiz war wieder geweckt! Zügig ein frisches Stück Teig um den Haken geknetet und schon zischte die grün leuchtende Pose durch die Nacht und landete mit einem leisen Platschen im Wasser. Mittlerweile war der kleine Vereinsteich von zarten Dunstschleiern bedeckt, die silbrig im Zwielicht der Parklaternen tanzten. Irgendwann begann hinter uns eine Nachtigall zu singen. Ein Schwan navigierte auf der anderen Teichseite lautlos durch den Nebel. Die Posen schaukelten gemächlich und sandten ihr fahles Licht aus. Es wurde gespenstisch. Und zunehmend kalt. Nichts passierte mehr. Kurz vor Mitternacht war es schließlich an der Zeit, allmählich einzupacken. Selbstverständlich wurde erst eine der beiden Ruten verstaut und mit der zweiten währenddessen weitergefischt. Nur noch ein letzter Wurf! Der Haken war nach wenigen Minuten leer. Ob durch Grundkontakt oder geschickt abgenuckelt, war nicht zu sagen. Also noch ein allerletzter Wurf! Schräg rechts diesmal, diese Stelle hatte ich schon länger vernachlässigt. Die Pose stand gut, die eingestellte Tiefe passte auch hier. Nach kurzer Zeit zuckte es. Anhieb im Stehen. Fisch! Und diesmal deutlich mehr Fisch als in den Stunden davor. Die Bremse kreischte. Das konnte wieder nur ein Karpfen sein. Hoffentlich würde das Gerät das nochmal aushalten. Auf dieser Rute hatte ich lediglich meine erste Spinnrolle drauf, eine 1000er mit leichtem Wasserschaden. Für das Spinnfischen war sie bereits aussortiert – mit dem Plan, dass sie beim Ansitzen ihren Lebensabend genießen möge. Was war da nochmal für Schnur drauf? 22er oder 25er? Ich blieb permanent an der Bremse, um nachzuregulieren, damit das Material nicht überlastet wurde. Mann, haben die eine Power! Und das, obwohl auch diesmal kein Riese angebissen hatte. Den Fisch sahen wir wegen der untergetauchten Knicklichtpose als einen leuchtenden Kreis, der sich zügig unter der Wasseroberfläche bewegte. Würde mich nicht wundern, wenn es für diesen Tag eine UFO-Meldung gegeben hat. Als der hübsche Spiegler endlich im Kescher war, stellte er sich als ein strittiger Fall heraus: Gerade so maßig oder ganz knapp darunter? Die genaue Länge hätte man nur am bewegungslosen Tier ermitteln können. Wir einigten uns auf 44 cm, an diesem Tag sollte kein Blut fließen. Zurück ins Wasser! Wir hoffen, der Teig hat dir geschmeckt und entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten!

Ja, Posenangeln ist etwas Feines und nachts bekommt das Ganze zusätzlichen Charme. Ein Mitbringsel für die Küche gab es diesmal nicht, nur für das Gedächtnis. Ob wir mit Anfüttern mehr gefangen hätten? Wer weiß. Beim Verlassen der Szenerie sang unsere Nachtigall noch immer.

Bis zum nächsten Mal!

H.

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